Johannissteine bei Lage eine frühgeschichtliche Kultstätte? 

(Erich Neumann und Wolfgang Lippek in Heimatland Lippe, Februar 1981, S. 44 - 48)

1. Allgemeines

Das Gebiet »Johannissteine« liegt an der südöstlichen Grenze der Kernstadt Lage. Drei mächtige erratische Granitblöcke bilden die eigentlichen Johannissteine (s. Abb. 1 und 2 ; r. 3486988 h. 5760625).

Bisher sind diese Findlinge nur als gewichtige Zeugen der Eiszeit weit über die Grenzen des Lipperlandes hinaus bekannt geworden. Aus aktuellem Anlaß möchte ich auf Grund meiner Untersuchungen den Wissensstand bzgl. der Johannissteine erweitern.

Im Bereich der Lageschen Feldmark, im Seelenkamp und an den Johannissteinen fand der Heimatforscher Rudolf Köller in den Jahren 1948 - 1952 Feuersteinabsplisse, Artefakte und Eisenschlacke1). Er formulierte "Weil auch ihr Ursprung in Dunkel gehüllt... ist, so schrieb doch fernste Vorzeit an dieser Stätte schon ihre Runenzeichen. Sie reichen weiter zurück als Urkunden und Sagen."2)

Diese Andeutungen waren für mich der Anlaß, die Johannissteine und die nähere Umgebung zu untersuchen. An den Findlingen entdeckte ich in den Jahren 1974 bis 1980 etliche eingemeißelte Zeichen.

II. Beschreibung der Einmeißelungen

In meinen Arbeitsunterlagen wie auch in meiner Veröffentlichung im Mitteilungsblatt für Vor- und Frühgeschichte, Berlin3) habe ich die Steine der Größe nach nummeriert (1 bis 5) und behalte diese Einteilung hier bei.

Die Steine 1, 2 und 3 (s. Abb. 2) sind Träger eingearbeiteter Symbolzeichen vergangener Zeiten. Die gefundenen Steineinmeißelungen sind in Ab. 2 zusammengestellt. Die schwarzen Punkte kennzeichnen die Stelle, an der sich das an der Pfeilspitze dargestellte Zeichen befindet.

Stein 1 (der sog. "Opferstein")

Auf seiner Südseite, unter einem Überhang, befindet sich ein "großes Herz" mit den Maßen 40 x 40 cm und in einer herausgearbeiteten Tiefe von 10 cm.

Darüber ein Zeichen, das wie die Rid-, Rad- oder Red-Rune aussieht4) Es gleicht dem großen "R" der gebräuchlichen Druckschrift. Auf gleicher Höhe mit der "Rune" befinden sich drei diagonal verlaufende Kerben von unterschiedlicher Länge (40, 30 und 15 cm).

Auf der Oberseite von Stein 1 befinden sich zwei Fünfkantlöcher (Abb. 3) mit einem Durchmesser von jeweils 40 mm und einer Tiefe von 150 mm. (Zur Arbeitstechnik derartig tiefer Fünfkantlöcher verweise ich auf meine Veröffentlichung5).)

Ein drittes fünfeckiges Zeichen (Pentagramm, 50 x 10 mm) ist auf der abgerundeten Oberkante (Westseite) von Stein 1 auszumachen. Fünfkantlöcher und Pentagramm sind wesensgleich. Ich vermute, daß sie eine noch unbekannte Einheit bilden.

Herr Dr. Hohenschwert hat nach Auskunft von Herrn W. Lippek bei einem Besuch der Johannissteine darauf hingewiesen, daß man seit der Renaissance fünfkantige Schlagbohrer benutzt hat. Es wäre also klar, daß die Fünfkantlöcher erst zu dieser Zeit angebracht wurden, um die Findlinge zu zerlegen.

Stein 2

An der Südflanke, links, ein ovales Näpfchen mit den Abmessungen 13 x 12 x 2 cm. Darüber zwei kleine Löcher (Bohrungen). Das ganze wird durch eine tiefe Bogenkerbe (40 cm) überdacht. Alles zusammen ähnelt einer Gesichtsmaske.

Links neben dem Bogen, in unauffälliger "Pick-Ausführung", ein Kreis von 10 cm (die Sonnenscheibe darstellend?).

Auf der rechten Seitenkante ein sehr markantes Zeichen (s. Abb. 4) mit den Maßen 8,5 x 7,5 x 1 cm. Dem Besucher drängt sich der Vergleich mit einem Pferdehuf auf.

Auf der Nordseite, hoch gelegen, eine "sitzartige" Austiefung mit sichtbaren Bearbeitungsspuren. Rechts unter dem Sitz ein Sechskantloch, das "liegende Hexagramm". An einem nordwestlich gelegenen Felsvorsprung zeigt sich eine für den Laien nicht so leicht erkennbare keilartige Flachmeißelung. Sie erinnert in ihrer Form an eine Dolch oder Lanzenspitze.

Stein 3

Auf seiner flachen Nordpartie weist er ein Kegelloch auf, das im Ansatz einen Durchmesser von 34 mm besitzt. Bei solchen Löchern handelt es sich nach Auffassung verschiedener Wissenschaftler6) um Bohrungen, die mit dem Sonnenkult in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß man an den drei Hauptsteinen insgesamt noch 7 Bohrlöcher sowie 6 Bohrkanäle feststellen kann alle mit einem Durchmesser von 26 mm. Diese rühren von Versuchen her, die Steine um 1900 zu sprengen - sie waren an eine Düsseldorfer Firma für 6000,- DM verkauft worden (mündl. Mittlg. von Herrn G. Glitt, Lage).

Die Südflanke von Stein 3 trägt ein weiteres Symbolzeichen, ein kleines Herz (60 x 60 x 8 mm) (Abb. 5). Rechts daneben, auf gleicher Höhe, eine längliche Vertiefung (45 x 25 x 8 mm). Hier, in der liegenden Darstellung, möglicherweise das "Tel" Zeichen (Tellus), das eigentliche Ideogramm für Erde7). Soweit die wichtigsten Zeichen und Bohrungen an den Johannissteinen.

Von großer archäologischer Bedeutung sind auch die in ihrem Umfeld gefundenen Artefakte (s. Abb. 6). Auf den frisch gepflügten Äckern wurden vom Herbst 1976 bis 1980 insgesamt 24 Funde gesichert. Schon Nebelsick verweist in den Lippischen Mitteilungsblättern auf steinzeitliche Funde, die der Heimatforscher R. Köller im Bereich der Johannissteine gemacht hat8).

Durch systematische Begehung der angrenzenden Felder wurden von mir zahlreiche Flintstücke gefunden, die nach Aussagen von Herrn Dr. Hohenschwert eindeutige Bearbeitungsspuren aufweisen. Unter ihnen sind zerbrochene Kernsteine, dunklere und hellere, unterschiedlich stark patinierte, klingenförmige und breitere Abschläge. Einige dieser Stücke können nach Or. Hohenschwert der mittleren Altsteinzeit (ca. 50.000 v. Chr.) zugeordnet werden.

Ein besonders auffälliges und wichtiges Fundstück ist eine Steinaxt aus dunklem, feinkörnigem Felsgestein (s. Abb. 7). Sie besitzt einen fünfeckigen Umriß und stammt nach Dr. Günther, Bielefeld, aus der späten Bronzezeit (1000 - 500 v. Chr.).

Die Steinaxt zeigt starke Feuereinwirkung bis zur Versinterung. Damit ist nach Dr. Hohenschwert ein Hinweis auf eine Feuerstelle im Bereich einer Siedlung gegeben.

 In Verbindung mit dem einmaligen Naturdenkmal sind solche Besiedlungshinweise auf den umliegenden Ackern von großer siedlungsgeschichtlicher und wissenschaftlicher Bedeutung.

Die Fundserie rund um die mächtigen Steine spricht dafür, daß hier einmal planmäßige Ausgrabungen durchgeführt werden sollten.

III. Vorsichtige Deutung der an den Steinen vorgefundenen Symbolzeichen

Nach meiner Ansicht ist an den Steinen das Wirken zweier unterschiedlicher Kulturstufen ablesbar. Eine ausführliche Begründung wäre in einem weiteren Beitrag denkbar.

Eine bedeutungsvolle Funktion - die einer Gerichtsstätte - läßt sich mit allem Vorbehalt an der Nordseite von Stein 2 erkennen. Der Norden galt unseren Vorfahren als Schatten-, Nacht- und Totenseite9). Aus dieser Einstellung heraus befanden sich vielfach die Gerichts- und Richtstätten auf der Nordseite der Thingplätze. Ein Brauch aus Vorzeiten, der sich noch heute an alten Gohgerichten feststellen läßt (z. B. an der Stoppelburg bei Rolfzen10).

Die Johannissteine tragen ebenfalls eigentümliche Merkmale alter Rechtsprechungsbräuche. Die "Sitznische" und das "liegende Hexagramm" befinden sich bezeichnender Weise auf der Nordseite von

Stein 2. Der Sechsstern (Hexagramm) in seiner liegenden Darstellung besagt nach alter Überlieferung Vernichtung, Sterben, Tod und fügt sich sinnvoll in das Gerichtsbild ein11). In diesem Sinn könnte man das Hexagramm in Verbindung mit dem "Steinsitz" als Hinweis auf eine Gerichtsstätte deuten.

Abschließend möchte ich auf eine weitere mögliche Bedeutung der Johannissteine als Ort frühgeschichtlicher Himmelsbeobachtungen hinweisen. Beachtenswert ist die Lage der Steine 1 und 2. Sie liegen genau im rechten Winkel zueinander (s. Abb. 2): Stein 1 in der Nord-Süd-Achse, Stein 2 in der Ost-West-Achse.

An Stein 2 befinden sich drei diagonal verlaufende Kerben. Solche Langkerben werden häufig als Visierkerben gedeutet, Z. B. von Prof. Dr. H. Bock, Frankfurt. Diesen machte ich bei seinem Besuch an den Johannissteinen im August 1980 auf jene Kerben aufmerksam. Solche Linien sollen Auf- oder Untergangsorte bestimmter Sterne anvisieren12).

Die letzten Beobachtungen zur Wintersonnenwende am 21. und 22. Dez. 1980 erhärteten meinen Verdacht, daß der sog. "Opferstein" u. a. der frühgeschichtlichen Himmelsbeobachtung gedient haben könnte.

Die auf ihm befindlichen Pentagrammlöcher lassen sich in ein astronomisches Ortungssystem einordnen. Bei einem Azimut von 129 Grad bilden sie, durch eingesetzte Stangen markiert, eine Visierlinie, die genau auf den Sonnenaufgangspunkt zur Wintersonnenwende hinzeigt. (Der Windelstein/Lemgo, die Gerichtslinde in Helden und Stapelage scheinen besondere Punkte innerhalb dieses astronomischen Ortungssystems zu sein.)

Die von mir weiter vorne vermutete Einheit der Pentagramme erfährt hier eine mögliche Deutung.

IV. Zusammenfassung

Folgendes sei herausgestellt:

1. Insgesamt wurden bisher 15 Einmeißelungen an den Findlingen festgestellt-, daneben 7 neuzeitliche Bohrlöcher sowie 6 Bohrkanäle.

2. Auf den angrenzenden Ackerflächen wurden sowohl von R. Köller als auch von mir Feuersteinabsplisse und Artefakte gefunden, die auf einen häufigeren Besuch u./o. eine intensive Nutzung der Johannissteine in der Steinzeit schließen Lassen.

3. Die Johannissteine waren als auffälliges Naturdenkmal in exponierter Lage möglicherweise ein Ort vorgeschichtlichen Kultes.

Meine Ausführungen haben sicherlich mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Der Bericht soll die Johannissteine aus dem "kulturhistorischen Dornröschenschlaf" aufwecken und Fachleute veranlassen, hier eine Untersuchung vorzunehmen. Diese erscheint mir nur möglich, wenn auch die angrenzenden Ackerflächen von einer geplanten Bebauung verschont bleiben.


1) Nebelsiek, Leo: Lippische Mitteilungen, Bd. 26, Vor- und Frühgeschichte, Fundchronik des Kreises Detmold und Lerngo für die Jahre 1948- 1957.

2) Köller, Rudolf: Stadt Lage/Lippe, Lage 1953.

3) Neumann, Erich: Johannissteine, eine frühgeschichtliche Kultstätte bei Lage in Lippe, in: Mitteilungsblatt für Vor- und Frühgeschichte des Vereins für Deutsche Vor- und Frühgeschichte, Berlin e. V., 30. Jahrgang, Folge 1979, S. 1 - 62.

4) Lauer, Wolfgang: Runendenkmäler in Schleswig-Holstein, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum für Vor- und Frühgeschichte in Schleswig, Heft 9, Neumünster, 1969 S. 16 - 35. Neumann, Erich: s. vorne, wie 3.

6) Nebelsiek, Leo: Schalensteine in Lippe und kultische Steinbohrungen der Vorzeit, Heimatbund Lippe, Nr. 3, Mai 1967, Detmold, S. 95-100.

7) v. List, Guido: Die Bilderschrift der Ario-Germanen, List-Verlag, Berlin, 1910, S. 85.

8) Nebelsiek, Leo: s. vorne wie 1.

9) Wanke, Lothar: Nordische Felsbilder, Jahrbuch der Gesellschaft für vergl. Felsbilderforschung, Graz, 1980, S. 11.

Rasch, Hugo: Stadt und Land Schwalenberg, Lemgo 1957.

Marby, Bernard: Forschung und Erfahrung, Marby-Verlag, Stuttgart, 1959, Heft 11/12.

12) Müller, Rolf: Der Himmel über dem Menschen der Steinzeit, Springer Verlag, Berlin, 1970, S. 11.